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Beitrag vom 17.02.2012
Früher war nicht alles besser – die Krise der Männlichkeit als Chance
Katarina Wagner
Glaubt mensch den BefürtworterInnen der These vom "Schmerzensmann", so haben Feminismen vor allem eines hervor gebracht: eroberungsunwillige Männer und frustrierte Frauen. In wie weit dienen...
... solche Klischees einer Resouveränisierung traditioneller Maskulinitätskonzepte und wie fördert der Diskurs um die Krise der Männlichkeit die Gleichstellung – oder wirft sie zurück?
Geschlechterverhältnisse und -rollen sind keine festen Gefüge, sondern müssen fortlaufend neu hergestellt und legitimiert werden. Dabei werden Positionierungen und Zuschreibungen nicht nur zwischen Frauen und Männern ausgehandelt, sondern auch innerhalb der Genus-Gruppen werden Hierarchien etabliert. In der Diskussion um die so genannten "Schmerzensmänner" können einige Beiträge als Versuche gewertet werden, die Vormachtstellung einer bestimmten Männlichkeit gegenüber abweichenden Entwürfen und sich öffnenden Geschlechterverhältnissen zu verteidigen.
Anstoß der Debatte war Nina Pauers Artikel in der ZEIT Anfang Januar 2012, in welchem sie sich über die neue Generation Männer beklagt. Diese empfindet sie als verweichlicht, unsicher, unentschlossen, melancholisch und auf Dauer "furchtbar unsexy". Die Ursache für diese Entwicklung sieht Pauer in der Gesellschaft, die von den Männern mehr Empfindsamkeit, Reflektiertheit, Rücksicht und Mut zur Schwäche verlange:
"Doch was als eine begrüßenswerte Mentalitätsreform des alten Männerbildes begann, hat inzwischen groteske Züge angenommen."
Sie bemängelt im Namen aller Frauen derselben Generation, dass diese sich nicht mehr an eine starke, männliche Brust werfen könnten, sondern die Schmerzensmänner tröstend in den Arm nehmen müssten. So scheint Pauer einem, in aktiv und passiv, stark und schwach aufgeteilten, Geschlechterverhältnis nachzutrauern, in dem alle Beteiligten wissen, was gesellschaftlich von ihnen erwartet wird und nicht davon abweichen.
In den Entgegnungen finden sich verschiedene Argumentationsstrukturen. Auf der einen Seite wird festgestellt, dass diese (von Pauer dramatisierte) Entwicklung zu begrüßen sei und eine Rückkehr zu starken Männern und schwachen Frauen vor allem Nachteile für Frauen mit sich brächte. In der FAZ beschreibt Jenny Friedrich-Freksa, wie die, von Pauer abwertend erwähnten Strickjacken-tragenden Männer als ein Zeichen der Emanzipation gesehen werden können, denn
"Neue Bilder von Männlichkeit wird es nur geben, wenn jemand den Mut findet, sie auszuprobieren."
Auf der anderen Seite knüpfen einige Autor_innen an Pauers Ablehnung abweichender Männlichkeiten an und gehen zu Schuldzuweisungen über. Jonathan Widder behauptet auf seinem Blog, die jungen Frauen seien an ihrem "Frust" über die Schmerzensmänner selbst Schuld, da ihr Emanzipationskonzept für junge Männer undurchsichtig sei, ihnen zu viel abverlange und sie in Ratlosigkeit darüber gerieten, was Frauen eigentlich wollten. Auch Christopher Scheuermann meint im SPIEGEL, Frauen seien selbst dafür verantwortlich, wenn sie sich nach einem souveränen und starken Mann sehnten, diesen aber nicht finden könnten. Er beschreibt die moderne "Optimier-Frau", die für eine Generation erfolgreicher und pragmatischer Frauen steht:
"Es ist aber gut möglich, dass sie beim Jonglieren ihrer vielen Rollen und Aufgaben vergessen hat, was es bedeutet, Geliebte zu sein. Sie wolle sich fallen lassen, sagt sie, hat aber verlernt, wie das funktioniert. Diese Erfahrung kann jeder Mann bestätigen, der in den vergangenen Jahren einen mit Alphamädchen gefüllten Tangokurs belegt hat."
Der Grundton dieser Beiträge ist geprägt durch den Vorwurf an Frauen, das Gleichgewicht unter den Geschlechtern zerstört zu haben. Es wird dabei nicht reflektiert, wie in dem asymmetrischen, traditionellen Geschlechtergefüge Männer privilegiert und Frauen benachteiligt werden.
Das Märchen von der Modernisierungsgewinnerin
Christiane Ketteler deckt in ihrem Artikel für die "Jungle World" Scheuermanns Darstellung der "Optimier-Frau" als "Märchen von der Modernisierungsgewinnerin Frau" auf. Ein sehr wirkmächtiges Märchen, wenn es über die tatsächlichen Chancenaufteilungen auf dem Arbeitsmarkt hinwegtäuschen kann und auch unter einigen Frauen den Eindruck erweckt, dass beispielsweise eine gesetzliche Quotenregelung für Führungspositionen nicht nötig sei. Im Zuge dessen scheint sich in der Gesellschaft ein Feminismus-Überdruss zu verbreiten. Mit der Verankerung der Gleichberechtigung im Grundgesetz sehen viele diesen als erledigt und überholt an.
Bei genauerem Hinsehen sollte allerdings klar werden, dass für die Gleichstellung noch einiges getan werden muss: In den Vorständen der DAX-Konzerne finden sich unter den 190 Männern nur sieben Frauen und der Entgeltunterschied zwischen den Geschlechtern liegt in Deutschland insgesamt bei rund 23 Prozent. Außerdem lastet weiterhin die Hauptverantwortung für Fürsorge- und Pflegearbeit auf den Frauen. Sie befinden sich öfter in prekarisierten Teilzeitarbeitsverhältnissen, akzeptieren Erwerbsunterbrechungen und sind daraufhin schlechter sozial abgesichert. Die Teilzeitarbeit wird nicht nur durch mangelnde Kinderbetreuungsangebote erforderlich, sondern wird sogar staatlich durch das Ehegattensplitting honoriert. Die Dominanz der erfolgreichen Karrierefrauen bleibt ein Märchen und die Förderung der Chancengleichheit steht weiterhin vor großen Aufgaben und Hürden.
Krise der Männlichkeit als Chance
Essentiell für die Gleichstellung ist der Abbau von Rollenerwartungen und geschlechterspezifischer Arbeitsteilung. Jungen- und Männerpolitik wird dadurch nicht ausgeschlossen, sondern ist dann begrüßenswert, wenn sie auch hier die Wahlfreiheit fördert und Stereotype abbaut. Schwierig wird es, wenn eines durch das andere zurückgedrängt wird und rückwärtsgerichtete Argumentationen lauter werden. Der Gleichstellungspolitik und Frauenbewegung wird vorgeworfen, lange Zeit die Bedürfnisse von Jungen und Männern vernachlässigt zu haben und nun sei es Zeit, sich verstärkt um diese zu kümmern. Verschiedene Phänomene, Fälle von Burn-outs bei männlichen Erwerbstätigen, die Jungen als so genannte Bildungsverlierer und eben die "Schmerzensmänner", werden unter dem Begriff der "Krise der Männlichkeit" zusammengefasst. Zwar werden in diesem Diskurs ernst zu nehmende Probleme angesprochen, doch kann es problematisch werden, wenn sie vorrangig auf neue Anforderungen an Männer zurück geführt werden, die im Zuge des Feminismus und einer angestrebten Reform der Machtverhältnisse aufkamen. An der Spitze einer solchen Argumentationslinie stehen antifeministische "MännerrechtlerInnen", welche die gesamte Gesellschaft durch den Feminismus dominiert und bedroht sehen und teilweise die Rückkehr zur traditionellen Rollenaufteilung fordern.
Nina Pauers Klagelied über Männer, die nicht wüssten, wie sie eine Frau erobern sollen, schlägt einen ähnlichen Ton an. Sie impliziert die Notwendigkeit, die vermeintlich verunsicherten Männer in ihrer Männlichkeit (stark, erobernd, entschlossen und als Gegenpol zur Weiblichkeit) zu stärken. Dieses rückwärtsgerichtete Sehnen nach mehr Eindeutigkeit in den Geschlechterbildern lässt wenig Raum für neue Aushandlungen oder sogar Überwindungen der dichotomen Geschlechterlogik. Der Chancengleichheit wird geschadet, wenn den Männern ihr Beitrag zur Emanzipation verwehrt wird.
Es wäre hilfreicher, die Fragilität der Konstrukte um Männlichkeit und Weiblichkeit zu nutzen und sie den heutigen lebensweltlichen Anforderungen anzupassen, um für jede Person eine gleichwertige Teilhabe in allen Bereichen des sozialen Lebens zu ermöglichen. Dazu ist es nötig sich von zweidimensionalen Betrachtungsweisen zu lösen, Raum zu schaffen und Frauen- oder Männertypen nicht nach "unsexy" oder "sexy" aufzuteilen.
Weitere Informationen finden Sie unter:
"Die Schmerzensmänner" von Nina Pauer (ZEIT, 06. Januar 2012)
"Küssen kann man nicht alleine" von Jenny Friedrich-Freksa (FAZ, 17. Januar 2012)
"Der Frust der Frauen" von Jonathan Widder (09. Januar 2012)
"Lieber nicht" von Christoph Scheuermann (SPIEGEL, 16. Januar 2012)
"Heul doch, Mann!" von Christiane Ketteler (Jungle World, 26. Januar 2012)